Werte sollte jeder haben

Als Papa erwachsen wurde

MEINE TOCHTER UND MEIN SELBSTWERT

Unfassbar, was ein Kind imstande ist zu bewegen. Das erfuhr ich auf beeindruckende Weise durch meine Tochter. Meine Geschichte über Werte, Familie und Selbstwert.

Wo ich herkomme – , das Kurzpsychogramm

Ich schaffte es mit Burnout zweimal in die Tagesklinik. 2008 und 2017. Nicht, dass ich stolz darauf bin. Es zeigt nur, wie sehr ich auf „Durchhalten!“, „Funktionieren!“ und „es allen Recht machen“ programmiert war. Selbstwert? Fehlanzeige! Mittlerweile bin ich auf einem guten Weg der Rekonvaleszenz.

Ich bin nicht nur Opfer meiner Erziehung, meiner inneren hohen Ansprüche, meiner Selbstlosigkeit. Nein, ich bin auch Täter, weil ich es lange zugelassen habe. Dazu bin ich kein Typ, der sich langfristig binden wollte, aus Freiheitsliebe. Heute denke ich wohl eher aus Angst vor Verantwortung und Versagensängsten.

Das änderte sich, als wir 2010 unser Haus kauften. Ich, das erste Mal im Leben hoch verschuldet, immer (gefühlt) die Bank im Nacken und die Angst, was passiert, wenn das Geld nicht mehr reicht? 2013 heiratete ich meine langjährige Freundin. Peng, nächste Tür zu. Kein schneller Notausgang durch Abhauen mehr.

Obwohl ich stets lieber einen zweiten Hund wollte, entschieden wir uns für ein Kind, da auch bei meiner Frau die biologische Uhr tickte.

Im August 2014 kam unsere Tochter gesund und munter auf die Welt. Die Geburt war ein sehr magischer Moment. Trotzdem wurde die Welt nie mehr so, wie sie einst war.

Hoppla, jetzt kommt sie, meine Tochter!

Da war sie nun, ein hilfloses Bündel, was im ersten Jahr rund um die Uhr Betreuung bedurfte. Ein selbstbestimmter Moment, der meist zum Ausruhen benutzt wurde, war unser knappstes Gut.

Es mag manchmal eigenartig oder negativ klingen, wie ich über meine Tochter schreibe, aber anfangs hatte ich echte Schwierigkeiten, mich mit so einem sabbernden Baby zu beschäftigen. Wo sie war, war Chaos, Dreck und Spontanität! (Vielleicht genau meine Schwachstellen?)

Eltern können nachvollziehen, wie es gemeint ist. Ich liebe sie von ganzem Herzen und möchte sie nie mehr missen!

Dennoch, es drehte sich immer alles um das Kind. Stets parat sein! Ich kam an dritter Stelle, fühlte mich oft zurückgesetzt, war ab und an neidisch auf die Kleine, verbündete mich mit unserem Hund. Dem erging es mit der Kleinen ähnlich.

Mein geringer Selbstwert erfuhr durch diese neue Konstellation leider keine Besserung. Da ich im Job jedoch zu der Zeit wenig auszuhalten hatte, war es kompensierbar.

Mein Kind, mein ganzer Stolz

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Den Spaß und die Wertschätzung holte ich mir bei meinen Kollegen. Ich brauchte insgesamt über ein halbes Jahr, um zu verstehen und zu akzeptieren, dass von nun an ein kleines Wesen die Familie in Beschlag nimmt und ich wohl oder übel zurückstecken musste.

Ich begrub spontane Unternehmungen mit der ganzen Familie. Denn einmal Rausgehen oder über das Wochenende wegfahren glich einer kräftezehrenden logistischen Paradeleistung von Mutter und Vater.

Mit etwa einem Jahr, als unsere Tochter schon krabbeln, laufen und ein bisschen blabbern konnte, hatten wir beide dann auch den von mir lang ersehnten Spaß.

Ich übernahm die Eingewöhnung in den Kindergarten im Rahmen der Elternzeit und war sehr stolz auf das gute Verhältnis zu meiner Tochter. Ich war mit ihr allein, brachte Sie ins Bett, machte ihr Frühstück, und und und. Ein ganzer stolzer Papa also!

Der Sturm zieht auf

Wir entwickelten uns zu einer verschworenen Familie. Wir haben unsere Tochter schon sehr früh in unseren Alltag einbezogen. Verbunden mit der Tatsache, dass sie sehr früh sehr gut sprechen konnte, nahmen wir sie schnell als ein „vollwertiges“ Mitglied der Familie wahr.

Beruflich genau andersherum. 2013 bekam unser Unternehmen ein neues Management. Die neuen Vorstände hatten viel vor. Alles, was wir bisher machten, war plötzlich Kacke. Es kam, was kommen musste. Ein Rationalisierungsplan. Entlassungen nach dem Nasen-Prinzip, schlechtes Betriebsklima.

Gute Kollegen verliessen in Scharen das sinkende Schiff. Strukturen wurden zerdroschen, ohne neue zu schaffen.

Kurzum, ein Umfeld, in dem ich mich partout nicht wohlfühlte, weil ich mich emotional geborgen fühlen muss, um zu „funktionieren“.

„Aber solange die engsten Kollegen bleiben, halte ich das schon durch“. Und blieb.

Im Auge des Sturms

Mit der einzigen Bewältigungsstrategie, die ich perfekt beherrschte, nämlich „Durchhalten“, ging ich die Aufgabe bis zum Umfallen an.

Mein Leben bestand in den letzten Wochen vor einer wichtigen Projekt-Deadline nur noch aus „Muss“ und „Durchhalten“. Ich arbeitete 6 Tage die Woche, 12 Stunden am Tag.

Meine Familie sah ich, wenn überhaupt zum Abendbrot. Meiner Tochter drückte ich nur einen Gute Nacht Kuss auf die Stirn, um an ihr vorbei ins Arbeitszimmer zu gehen. Ich funktionierte nur noch, hatte diesen Tunnelblick und keinen Plan B.

Gehirnorkan

Ich schlief wenig und schlecht, zwischendurch. Da ich aber aus Erfahrung wusste, dass diese auch wieder weg gehen und nicht schlimm sind, machte ich weiter.

Nach Angebotsabgabe nahm ich mir eine Auszeit. Ich kam aber nicht richtig herunter. Ich dachte nur an Unmengen von Emails, Telefonaten, end- und sinnlosen Telefonkonferenzen. Und an die Kraft, die es mich kostete, die letzten Arbeitstage anzugehen und zu überstehen!

Ich wollte nicht mehr, konnte nicht mehr. Der kleinste Gedanke an ein Büro trieb mir die Panik- und Angstspitzen in den Kopf, lähmten mich. Nichts ging mehr. Ich wusste wo ich jetzt hingehörte: Tagesklinik.

Hilfstherapeut Kind

Ihr fragt Euch, was hat das Kind damit zu tun? Im Rahmen meiner Aufarbeitung der Geschehnisse spielte meine Tochter, eher unfreiwillig, eine sehr wichtige Rolle.

Ich habe im Rahmen meiner freien Zeit gemerkt, dass ein Vollzeitjob und eine für mich befriedigende Begleitung meines Kindes von mir nicht (mehr) zu leisten war. Ich habe mich pro Kind entschieden. Job und Geld kommen weit danach. Für mich revolutionär, traf ich Entscheidungen: von mir – für mich!

So habe ich mein erstes Lebensziel, an dem ich alle meine Folgeentscheidungen und –handlungen ausrichte. Statt mich wie eine Flipperkugel von Situationen und/oder Anderen herumrollen zu lassen.

Selbstwert

Fangen wir mit der ersten Erkenntnis an. Du stabilisierst und stärkst deinen Selbstwert. Ein Kind, das nach Mama schreit und Papa gerade mal wieder so richtig doof findet, meint es nicht persönlich.

Das versuch‘ mal zu verstehen, wenn du dich selbst gerade im Rahmen deiner Depression nicht leiden kannst. Beste Übung zur Erhöhung deines Selbstwerts!

Inneres Kind vs. Kind

Ein kleines Kind konfrontiert dich gnadenlos und unbewusst mit deinem inneren Kind und deiner eigenen Erziehung. Du lernst deine Wut, deine Ungeduld zu beherrschen. Ständig geht etwas kaputt, wird dreckig gemacht, das Kind hört nicht, braucht unendlich lange.

Ich habe mittlerweile gelernt, Wut zuzulassen, aber nicht (mehr) tiefer wirken zu lassen. So vermeidest du, dass dein inneres, wütendes und trotziges Kind auch noch aktiviert wird. Früher hatte meine Frau  dann oft zwei streitende Kleinkinder am Tisch und musste immerfort schlichten.

Ich bin durch meine Tochter ein großes Stück erwachsener geworden, lasse negative Gefühle zu, und übe, sie nicht mehr zu bewerten.

Im Hier und Jetzt

Ein Kind wechselt spontan seine Aufmerksamkeit von einer auf die andere Sache, um nach zwei Minuten wieder zu wechseln. Du brauchst Flexibilität und Nerven. Nerven, weil du Erwachsenen-Maßstäbe ansetzt. „Das Kind muss doch mal eine Sache fertig kriegen“, „Das macht mich nervös“.

Pustekuchen. Kinder sind im Hier und Jetzt. Sie machen das, worauf sie gerade Lust haben. Kein Gedanke an morgen, nicht vergleichen mit gestern, einfach sein. Das haben wir Erwachsenen verlernt. Wenn du dich komplett auf das Kind,  zum Beispiel beim Spielen einlässt, bist du selbst im Hier und jetzt. Deine Sorgen sind Schnee von gestern. Tolle Achtsamkeitsübung mit Spaßfaktor!

Vertrauensbildende Maßnahmen

Ich mache mir immer viel zu viele Gedanken über andere anstatt über mich und neige dazu, mein Kind über zu behüten, wie es meine Mutter bei mir gemacht hat.

Ich kriege Schnappatmung, wenn meine Tochter an einer viel befahrenen Straße ohne Unterstützung Laufrad fährt, ich hänge die Türkette ein, damit sie nicht auf die Straße rennen kann.

Meine Frau ist da sehr viel entspannter. Ich schaue mir das gerade von ihr ab. Vertrauen zu können heißt auch loslassen zu können. Was mir das Mitdenken für Andere erspart und mehr Raum für mich (!) schafft.

Zusammengefasst habe ich dadurch bisher viel über mich gelernt und verändert. Das eigene Kind ist dazu eine wunderbare Motivation, gerade, wenn man persönlich gerade unmotiviert ist.

Juchuuu! Papa in Sicht!

Während meiner Depression habe ich viel von meinem Kind gelernt, habe mich neu überdacht und reflektiert. Ich habe meine Werte neu justiert und habe eine grobe Marschrichtung. Für mich irgendwie ein zweiter Geburtstag.

Ich weiß zwar nach einem Jahr Auszeit noch nicht, was ich beruflich machen oder wie ich meinen Lebensunterhalt verdienen werde. Doch eines weiß ich jetzt ganz gewiss: das größte Geschenk dieser Welt ist, ein Kind auf seinem Weg in ein eigenständiges Leben zu begleiten.

Scheiß auf Ansehen, Status, Macht, Besitz, Leistungsdenken und Geld verdienen. Die wahrlich wichtigen Werte der Menschheit sind bereits in allen Kindern in unendlichen Mengen vorhanden: Lebensfreude, Offenheit, vorbehaltloses Vertrauen, Direktheit, Liebe, Kooperation, Neugier, Spaß.

Nur: Wann haben wir Erwachsenen auf unserem Lebensweg diese Werte abgelegt, ablegen müssen?

Und warum müssen wir unseren Kindern diese Werte aberziehen, damit sie in der heutigen Leistungsgesellschaft „funktionieren“ und bestehen können?

Wie wäre eine Welt, in der alle Kinder sein dürfen? (Dazu empfehle ich das Lied „Kinder an die Macht“ von Herbert Grönemeyer)

Mit diesen Gedanken lasse ich Euch jetzt allein. Habt’s jetzt alle fein!

Lächeln hilft. Immer!
Leuchten! Nicht brennen.

Der Autor stellt sich vor

Mein Name ist Matthias, bin 45 Jahre alt, verheiratet und Vater einer dreijährigen Tochter. Ich bin IT-Projektmanager im Krankenstand. Wir wohnen kurz hinter Hamburg im schönsten Bundesland, Schleswig-Holstein.

Kontakt zu Matthias

Der Titel dieses Buches "Jetzt bin ich dran" klingt hart und egoistisch. Und er ist auch bewusst so gewählt, weil wir nicht darüber hinweg kommen, mit uns selbst ins Reine zu kommen. Erst dann, wenn wir innerlich erfüllt sind, können wir wahrhaftig auch für andere da sein!  

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