Neurodermitis ist eine Qual

Neurodermitis. Deine beste Hälfte hat Makel und Fehler

DER STUMME AUFSCHREI

An einem beliebigen Tag, in einer beliebigen S-Bahn mitten in der Weltstadt Hamburg:

Eine junge Frau steigt ein und sucht sich in der nur spärlich besetzen Bahn einen Platz in der Nähe der Tür. In der Vierergruppe sitzt bereits eine Mutter mit ihrem Sohn im Grundschulalter. Die junge Frau lächelt beide höflich an.

Die Mutter starrt sie einen Moment lang an und mustert sie dann von Kopf bis Fuss. Ihr Mund verzieht sich vor Ekel. Blitzartig rafft sie ihre Tasche und ergreift die Hand ihres Sohnes.
„Komm“, sagt sie und zerrt an dem Jungen, „wir setzen uns woanders hin.“ Nach einem weiteren Blick auf die junge Frau fügt sie hinzu: „Die Frau hat Aids.“

Die junge Frau sagt nichts. Sie sitzt nur da und starrt auf ihre Hände, die sie soweit wie möglich in den langen Ärmeln ihres T-Shirts verbirgt. Als sich ihre Augen mit Tränen füllen, wendet sie den Blick zum Fenster.

Im Spiegelbild sind die krustigen, entzündeten Ekzeme an ihrem Hals und die verschwollenen, wunden Augen kaum zu erkennen.

Sie hat kein Aids.

Sie hat Neurodermitis.

Ich war damals 15 Jahre alt – und eine schlimmere Verurteilung habe ich nie wieder erlebt.

Die Abwärtsspirale

Warum ich diese Geschichte mit euch teile? Weil wohl nichts mein Selbstwertgefühl mehr angeschlagen hat als diese Erfahrung. Und das kennen wir doch alle, oder?

Eine Beurteilung, die eigentlich einer Verurteilung gleichkommt – unbegründet und meistens aus Unkenntnis ausgesprochen und doch treffen uns solche Worte nachhaltig bis ins Mark.

Nicht immer muss es ein realer, offensichtlicher Makel sein, der so angesprochen zu einem Knick im Selbstwert führt. Häufig genug sind es vielmehr ganz individuelle Schwachstellen, die jeder am liebsten verheimlichen würde. Werden sie dann ans Licht gezerrt, kann das für ein ohnehin schwaches oder angeschlagenes Selbstbewusstsein zu einer bösen Abwärtsspirale führen.

So kann zum Beispiel ein kleiner Fehler eine ganze Kette unglücklicher Entscheidungen auslösen. Statt ihn einfach zu korrigieren, vertuscht man ihn und versucht ihn doppelt wieder gut zu machen. Das Mehr an Einsatz führt zu mehr Druck, weniger Zeit, der Stresspegel steigt ebenso die Folgefehleranfälligkeit. Und beim nächsten Fehler zieht derjenige die eigenen Daumenschrauben noch etwas mehr an, um nur ja nicht mit dem „Makel“ in der Öffentlichkeit zu landen. Eine extrem energieraubende und immer aufwändigere Vertuschungsaktion nimmt ihren Lauf.

Vielleicht kennst auch du diesen Moment, wenn du wirklich einen Bock geschossen hast und Engelchen und Teufelchen auf deinen Schultern um die Wette schreien. „Gib’s einfach zu, mach reinen Tisch.“ „Halt bloss die Klappe, das wäre nur peinlich.“ „Ehrlich wehrt am längsten.“ „100% glaubhaftes Dementi.“ … Und ehe du dich versiehst, hast du zwar keine Entscheidung getroffen, aber durch die verstrichene Zeit wird die Hürde den Fehler einzuräumen so hoch, dass es plötzlich kein Zurück mehr gibt – scheinbar.

Aufwärts, bitte

Meine Meinung dazu: Scheiß drauf! Jeder macht Fehler, jeder hat Makel, jeder schämt sich für irgendwas. Aber geht es weg, wenn ich das Deckmäntelchen des Schweigens darüber breite? Nein. Es schadet dem Selbstwert nur viel nachhaltiger, als ein Eingeständnis.

In meinem Fall hieß das: Ich konnte noch so viel Make-up in mein Gesicht schmieren und noch so viele langärmlige und hochgeschlossene Pullis tragen, erkannt wurde ich doch immer wieder. Tatsächlich wurde meine Haut genau dann etwas besser, als mir die Meinung der anderen egal wurde und ich nur noch das tat, was mir wirklich gut tat. Und das waren z.B. kurze Shirts und eben kein Make-up.

Im Falle eines Fehlers hieß das, ich musste lernen dazu zu stehen. Der kurze Moment der Peinlichkeit, der kleine Rüffel, ich machte sie zu meinen Freunden, um danach wieder in Ruhe weitermachen zu können. Anstatt mir Vermeidungsstrategien überlegen zu müssen, Tarnungen und anderen Quatsch, hatte ich Zeit daran zu arbeiten, wirklich besser zu werden und konzentriert sorgfältiger zu arbeiten. D.h. natürlich auch heute noch nicht, dass mir nicht hin und wieder mal ein Fehler unterläuft – aber ich spare mir die Energie, ihn zu vertuschen oder zu verleugnen und setze sie lieber offensiv dafür ein, authentisch zu bleiben und an mir zu arbeiten – nach meinen eigenen Maßstäben.

Und genau das möchte ich auch dir als Inspiration mit auf den Weg geben. Wir alle bewundern Perfektion – aber lieben die kleinen Macken unseres Gegenübers. Wenn wir das fest im Blick und im Kopf behalten, sollte es jedem leichter fallen, zu seinen Fehlern und Makeln zu stehen.

Gern lade ich auch dazu ein, genau diesen Fehler oder diesen Makel mal als eine persönliche Note zu würdigen – oder ihm wenigstens mit dem nötigen Humor zu begegnen, denn ein wenig Humor hat noch niemandem geschadet.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Mein Traum als junges Mädchen war der Gleiche wie der vieler Altersgenossinnen: Ich wollte Modell werden – oder Schauspielerin. Hauptsache schön! Nur wer braucht ein Modell oder eine Schauspielerin, deren Haut nicht makellos ist?

So lange ich gegen meinen offensichtlichen Makel ankämpfte und ihn verbissen zu verbergen suchte, kam ich mit meinem Traum nicht voran. Die Jahre schritten voran und für den großen Durchbruch in Hollywood war ich längst zu alt. Doch dann kamen mir eben meine Erfahrung und mein wachsender Selbstwert zu Hilfe.

Ja, meine Haut ist nicht perfekt, aber ich habe auch gute Tage. Und es muss ja auch nicht Hollywood sein, um mal vor der Kamera zu stehen.

An einem guten Tag fasste ich mich also ein Herz, ließ ein paar ausdrucksstarke Bilder machen – ohne große Beautyretusche – und bewarb mich bei verschiedenen Agenturen. Auf den Auswahlbögen benannte ich bereitwillig jede Narbe und was soll ich sagen: Ich wurde gebucht.

So kam es, dass ich, die Neurodermitikerin, als Komparsin, Statistin und Kleindarstellerin mittlerweile in diversen Fernseh- und Kinoproduktionen mitgewirkt habe. Und was soll ich sagen, es macht Spaß. und sollte eine Anfrage kommen, wenn ich gerade einen schlechten Tag habe? Na, dann sage ich eben ab. Ganz stressfrei, Hauptsache es macht Spaß.

In dem Moment, wo ich zu meinem Makel stand, konnte ich mich darüber erheben

Und genauso ist es mit Fehlern: Wir alle haben sie, wir alle machen sie – und wir alle sind unsere härtesten Gegner, wenn es darum geht, uns dafür zu vergeben.

Deshalb lade ich dich heute mal ein, einfach zu versuchen anders damit umzugehen. Vergib dir selbst, vergib auch jemand anders, dem ein Fauxpas unterlaufen ist. Lacht gemeinsam darüber, wachst gemeinsam daran. Macht was draus. Nur mach dich nicht klein – denn dein Fehler, dein Makel gehören zu dir. Sie machen dich zu dem Individuum, dass du bist. Also bleib authentisch. Authentizität ist das Rückgrat eines gesunden Selbstbewusstseins.
Sei einfach voller Makel, voller Fehler oder noch einfacher: sei dein wundervollstes ICH.

Die Autorin stellt sich vor

Bei Melanie Amélie Pump stand der Burnout noch vor der Marketingleitung auf ihrem Lebenslauf. Heute liegt ihr als freiberufliche Businesstrainerin, Autorin und Speakerin besonders das seelische Wohl ihrer Mitmenschen am Herzen. Deshalb widmet sich die Gründerin und Inhaberin des 1 Cup Coaching als Creativeer® Themen wie creative Gelassenheit und gesunde (Selbst)Führung.

Amelie schreibt über Neurodermitis

Zusätzlich bloggt sie und pflegt einen Podcast (41+ – deine Chance ist jetzt) und aktuell erschienen ist ihr Ratgeber: Einfach mal Wohlbefinden - erfolgreich glücklich *

Kontakt zu Amélie

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2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Moe am 31. Oktober 2018 um 12:13

    Wie witzig – also nicht „Haha-witzig“, sondern „wie klein ist die Welt-witzig“:

    Schöner Artikel. Als über mich verbreitet wurde, dass meine schwere Neurodermitis „Aids“ sei, war ich gerade in der Grundschule, und diejenigen, die diese „Diagnose“ gestellt hatten, ebenfalls etwa neun Jahre alt. Meine Mutter musste mehrfach Mütter anrufen, um „Aufklärungsarbeit“ zu betreiben.
    In den Jahren vor dem Abitur trug ich auch im Sommer meist dicke Schals und ausschliesslich langärmelig; ich war „aussätzig“ und „anders“. Juckreiz, der einen gefühlt in den Wahnsinn treibt, Haut, die permanent spannt und schmerzt, Ernährungs- und Créme-Experimente. Und natürlich soll man dennoch „normal“ funktionieren, in der Schule klar denken – und sich permanent für seinen Makel entschuldigen, sich selbst wirgendwie permanent „wieder gut machen“.

    Ein späterer Freund wollte mich dann über Jahre nie anfassen – sein taktvoller Bruder rotzte mir dann mal irgendwann zartfühlend in seinem Beisein entgegen, dass dieser mich schlicht und ergreifend einfach „voll eklig“ fände. Wieder was gelernt 🙂

    Ich persönlich habe gelernt, meine Neurodermitis schätzen zu lernen.
    In den schlimmsten Jahrezehnten meines Lebens war sie wohl mein grösster und wichtigster Schutz vor noch Schlimmerem. Nach 26 Jahren verliess sie mich dann. Als ich mit meinem damaligen Partner zusammenzog und in kleinen Dosen lernte, mir selbst Schönes zu gönnen.
    Seit einigen Wochen ist sie wieder da. Was okay ist. Hat meist etwas mit „Abgrenzung“ oder massivem innerem Stau zu tun.

    Und ja, man sollte zu ihr stehen. Für mich ist sie so etwas wie eine weise Freundin geworden.

    Respekt vor Deinem Weg!

    LG,

    Moe

    • Veröffentlicht von Roland am 6. November 2018 um 6:52

      Hey Moe!

      Vielen Dank für deinen – wie immer – sehr spannenden Kommentar!

      Liebe Grüße
      Roland

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