Die Opferrolle und der Täter. Ein Kriminalfall
EIN HEIMTÜCKISCHES VERBRECHEN UND DIE OPFERROLLE
Bei den meisten Kriminalfällen kannten sich der Täter und das Opfer. Das vorliegende Verbrechen ist dafür ein Musterbeispiel. Die Opferrolle übernehme ich selbst. Aber wer ist der Täter? Lasst uns eine Tat aufklären, die von falschen Entscheidungen, dramatischen Konsequenzen und mangelnder Einsicht in Bezug auf die Verantwortung handelt.
Eine Tat, die, wenn sie nicht Burnout oder Depressionen hinterlässt, zu einem unglücklichen Leben oder zumindest zu immer wiederkehrenden, unbefriedigenden Phasen führt.
Der Tatort: Mein Leben
Auf einen einzigen Tatort lässt sich dieses Verbrechen nicht festlegen. Es handelte sich um die Abfolge von Ereignissen an mehreren Plätzen über einen längeren Zeitraum.
An verschiedenen Arbeitsstätten, Beziehungen und Orten in der Öffentlichkeit finden sich Hinweise, die zu Konsequenzen wie Burnout, Depressionen und zu einem generell unglücklichen Leben führten.
Im Job wurde ich das Opfer von zu hohen Erwartungen. Von zu viel Stress und der heimtückischen Aussicht auf die nächste Stufe der Karriereleiter. Damit verbunden waren das Image eines Machers und die greifbare Gehaltserhöhung, womit teure Klamotten und sonstiges Zeug meinen Besitz erweiterten.
Beziehungen liefen nebenbei her. Meine Gedanken und meine Leidenschaft waren damit beschäftigt, den eigenen Status zu erhöhen.
Mich auf meine Freundin zu konzentrieren und mich um sie und die Beziehung zu kümmern, wie ich es vorgab, wäre meinem Anspruch an ein perfektes Leben im Wege gestanden.
In der Öffentlichkeit galt es den Hero zu geben. „Schaut her wer ich bin, beachtet meine Fähigkeiten und was ich noch alles vorhabe“, war die Art, wie ich mich positionierte.
Die Tat: Falsche Entscheidungen
Verbrechen zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass sich das Opfer zur falschen Zeit, am falschen Ort befand. Bei diesem Kriminalfall kam hinzu, dass das vermeintliche Opfer falsche Entscheidungen traf, die zur Verkettung unglücklicher Umstände führte.
Der Täter lauerte mir bereits vor Jahrzehnten auf. Damals entdeckte ich, welche Möglichkeiten diese Welt bietet und wie gering mein Selbstwert in Bezug auf meine Herkunft aus einfachen Verhältnissen war.
Es ist nicht verwerflich, mehr aus mir zu machen als ich bin. Allerdings kam ich auf einen Ego-Trip und war somit ein leichtes Opfer für einen Verbrecher, der nur darauf wartete, mich den Verlockungen hinzugeben und nicht auf meine wahren Bedürfnisse zu achten.
Es folgten Entscheidungen, die mich zwar viel im Leben lernen ließen, deren Konsequenzen ich hingegen nicht dahingehend überprüfte, ob sie mich auf Dauer zufrieden machten.
Das Opfer macht die Opferrolle
Zufriedenheit war nicht das was ich wollte. Ich wollte Geld, Besitz, Status und einen ganzen Haufen Anerkennung für meine Leistungen. Klar, all das führt zu einem befriedigenden Leben. Allerdings nur, wenn es jene Bedürfnisse abdeckt, die mein wahres Ich tatsächlich braucht.
Die nachträgliche Rekonstruktion der Tat führte zu folgenden Erkenntnissen:
- Ich wollte Dinge und Ansehen, brauchte aber ein Leben, das sich an meinen wahren Bedürfnissen orientierte. Diese bestehen im Wesentlichen aus einem entspannten Alltag, aus der Beschäftigung mit kreativen und geistig herausfordernden Themen und aus Erlebnissen, die Emotionen hervorrufen und mich das Leben spüren lassen.
- Die Unstimmigkeit zwischen dem was ich tat und dem, was ich brauchte, führte zu physischen und psychischen Schmerzen. Diese Konsequenz war logisch, wie der Konsum von verschimmelten Lebensmitteln zu Brechdurchfall führt.
- Ich betrieb Raubbau an meinem Körper, vor allem an meinen Gefühlen. Indem ich ausschließlich in Gedanken war und die Hilfeschreie meiner Gefühle zur Seite schob, gelang es nur noch einem Burnout mich zu stoppen.
- Schließlich ging alles schief, was schief gehen konnte - ich scheiterte. Job, Beziehung und meine finanzielle Lage spannte sich zusehends an. Ich verteufelte Gott und die Welt, gab allem und jedem die Schuld für mein Scheitern und begab mich in jene stumpfsinnige Situation, die unausweichlich folgt, wenn ich die Verantwortung für mein Handeln ablege: In die Opferrolle.
- „Schaut her wie arm ich bin und wie sehr sich alles und jeder gegen mich verschwor“, war ab sofort die lächerliche Strategie, mit der ich um Aufmerksamkeit und Zuspruch für mein Leiden bettelte. Natürlich bekam ich diesen vehement eingeforderten Zuspruch. Jedoch nur, weil vor allem Angehörige dazu neigen, dir nicht zusätzlich eine reinzuhauen, wenn du es dir im Jammertal bereits gemütlich gemacht hast. Besser wurde meine Situation dadurch keineswegs.
Die Aufklärung und die Konsequenzen
Auf die Spur kam man dem Täter, indem das Lügengebäude eines Tages über ihn zusammenbrach. Die Diskrepanz zwischen Schein und Wirklichkeit wurde zu offensichtlich, als dass er die Tat noch länger verbergen konnte.
Ich erkannte, dass die Opferrolle derart lächerlich war, wie mit den Händen vor dem Gesicht verstecken zu spielen. Anstatt zu erwarten, dass mich irgendjemand von meinen Leid befreien würde, übernahm ich selbst die Verantwortung zur Klärung dieses Verbrechens.
Wie Sherlock Holmes ermittelte ich in meinem Verstand nach möglichen Hinweisen. Ich fand heraus, dass sich die Art, wie ich mein bisheriges Leben gestaltete, falsch anfühlte.
Die Opferrolle verdient den Oscar
Dachte ich zum Beispiel über meinen letzten Job nach, gab mir mein Gefühl die Rückmeldung, dass ich damals ein Schauspiel abgab, das eine Oscar-Nominierung verdient hätte.
Erinnerte ich mich an mein Verhalten in einzelnen Situationen meiner letzten Beziehungen, löste mein Gefühl einen kalten Schauer aus, der mir über den Rücken kroch.
Sah ich vor meinem geistigen Auge, wie ich vor nicht allzu langer Zeit wie ein Pfau vor meiner Familie und meinen Freunden auftrat, war es mein Gefühl, das mich vor diesem Menschen erschaudern ließ.
Diese Zeit, die ich als die mit Abstand schlimmste Phase meines Lebens bezeichne, weil sie von fürchterlichen Depressionen begleitet war, führte mich schließlich zu jenem Mistkerl, der mir all das antat.
Der Täter und die Verantwortung
Als der Täter schließlich überführt wurde, war die Überraschung bei allen Beteiligten groß. Es handelte sich um einen 1,74 großen, athletischen, attraktiven Mann¹ um die Vierzig, mit schütterem, grau meliertem Haar und Drei-Tage-Bart.
Anfänglich bestritt er die Verantwortung für die Tat und flüchtete sich in fragwürdige Ausreden. Er tat, was das Opfer von ihm verlangte, wollte nur das Beste für mich und kam schließlich an einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, waren einige der Ausflüchte, an die er selbst nicht glaubte.
Letztlich brach er unter der Last an Beweisen zusammen und gestand seine abscheuliche Tat. Unfreiwillig übernahm er die Verantwortung, das Opfer jahrelang missbraucht, auf eine falsche Fährte geführt und schwer verletzt zu haben.
Bei der Gegenüberstellung von Opfer und Täter kam es zum Eklat. Mit Zornesröte im Gesicht verspürte ich den Drang, auf diesen verdammten Mistkerl, der mich all diese abscheulichen Gefühle spüren ließ, einzuschlagen.
Fassungslos erkannte ich die mit Tränen überfüllten Augen meines Täters. Ich blickte in mein Spiegelbild.
¹ Sorry, ich konnte nicht widerstehen 😉
Das Urteil: Neue Entscheidungen
Was für ein mysteriöser Kriminalfall. Opfer und Täter in einer Person. Wer hätte das gedacht.
Ich bekannte mich in allen Anklagepunkten schuldig, entschuldigte mich bei mir und versprach, ab sofort Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen und besser auf mich zu achten.
Der Opferrolle schwor ich für alle Zeiten ab. Diese, auf kindische Art und Weise eingeforderte Aufmerksamkeit, bringt mich nicht weiter.
Aufgrund der detaillierten Schilderungen des Opfers erkannte ich die Notwendigkeit, meine künftigen Entscheidungen von jenen Gefühlen abhängig zu machen, die sich bei den Überlegungen einstellten. Meinem Verstand, dem Ego, würde ich hingegen ab sofort keine Macht mehr einräumen.
Die Strafe nahm ich mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln hin. Ich wurde zu lebenslang verurteilt. Bekam aber unter der Auflage, ab sofort ein aufrichtiges und wahrhaftiges Leben zu führen, eine zweite Chance.
Mit der Opferrolle triffst du dich ausschließlich selbst! Sei kein Opfer, lies dieses Buch …
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4 Kommentare
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Ja, oh ja….du hast Recht und ich bin immer wieder freudig gespannt, was du zu berichten hast. Du schreibst derart lebendig, dass mich mehr als einmal während des Lesens die Gänsehaut überfällt, weil das, was du sagst so wahr ist. Ich selber befinde mich seit 2 Jahren in einer Gesprächstherapie mit dem Ziel erst gar nicht in dem Burnout zu enden. Ich kann nur sagen, der Weg ist so verdammt schwer. Vielen Dank für deine Gedanken und deine Zeit. Ich freue mich schon auf den nächsten Sonntag. Michaela
Es sind Kommentare wie dieser, liebe Michaela, die mich jede Woche meine Erfahrungen mit Burnout und Depressionen in einen Artikel verfassen lassen. Vielen lieben Dank!
Ja, der Weg ist tatsächlich verdammt schwer – ich fühle mit dir! Aber er lohnt sich und eines Tages wirst du diese schwierige Phase überwunden haben. Burnout, bzw. die miesen Gefühle möchten dir etwas mitteilen. Finde heraus was es ist und folge und vertraue deinem Gefühl …
Ich freue mich, dich nächste Woche wieder hier begrüßen zu dürfen!
Liebe Grüße
Roland
Was für ein wirklich ausgesprochen gut und packend geschriebener Text! Ich finde mich auch in fast allen der Punkte wieder! Oh man, dein Text hat mir den Spiegel vorgehalten!
Euje, was hab‘ ich da wieder angerichtet? 🙂
DANKE für deinen Kommentar und das liebe Kompliment, Agnes!
Beste Grüße
Roland