Wie aus Leid ein Segen werden kann
BURNOUT - DEPRESSIONEN - MAGERSUCHT: DIAGNOSEN, DIE MICH 2015 NOCH TIEFER SINKEN LIESSEN ALS ES SOWIESO SCHON DER FALL WAR
Wenigstens den Burnout habe ich mir schon zuvor eingestanden. Zumindest habe ich es vermutet, vielleicht sogar gehofft. Darauf gehofft, dass mein Leid einen Namen trägt. Das ich nicht bekloppt, übersensibel bin oder „die Birne hohl“ habe.
Heute weiß ich aber, dass alles bereits damit begonnen hat wie ich aufgewachsen bin. Dass die depressiven Phasen immer wieder mal da waren. Als Teenie, in der Ausbildung, nach der Geburt des Sohnes mit der Wochenbettdepression. Nicht einfach das nach 40 Jahren reflektieren zu können und festzustellen, dass die Vergangenheit so prägnant meinen Leidensweg bestimmt hat. Und doch ist das, was geschehen ist ein glücklicher Segen für mich.
Perfektionismus ist ein fieses Ding
Ich hatte schon immer Schwierigkeiten damit, mich bei anderen Personen und in Gruppen wohlzufühlen und ich sah mich eher als ungewollter Außenseiter. Völlig introvertiert und unscheinbar, von klein auf mit dem Gefühl, nicht gemocht und gemieden zu werden. Während meiner Berufsausbildung entschied ich mich ganz bewusst an mir zu arbeiten, um sichtbarer für andere zu werden. Sichtbarer, um auch mal Anerkennung und Lob zu erhalten, um ebenso geschätzt zu werden für meine Leistungen. Ich sprang über meinen Schatten und arbeitete gegen mich. Kämpfte gegen meine Unsicherheiten.
Im Grunde habe ich für die Arbeit gelebt, dafür gebrannt. Mich immer wieder weitergebildet, Zusatzausbildungen abgeschlossen. Arbeit, Arbeit, Arbeit war für mich das Wichtigste. Immer mehr leisten, immer perfekt sein, eine perfektere Person werden, für die Wertschätzung – die nie in dem Maße kam, damit ich zufrieden bin. Noch mehr leisten, noch mehr arbeiten, noch perfekter, noch unzufriedener mit mir selbst werden. Aussagen von Führungskräften die scheinbar nichts von einem hielten, klingeln heute noch in meinem Kopf: „Ich sehe, Sie leben nicht hier“ - von einer Person die im Laufe des Vormittages am Arbeitsplatzes erscheint und ab der Kaffeezeit nicht mehr gesehen wird, während ich schon zwei Stunden im Büro sitze und oft noch bis zu den Abendstunden meine Aufgaben erledige.
Das hatte sich auch während meiner Tätigkeit in der Elternzeit nicht geändert: „Mit 15 Stunden leistest Du hier nichts Besonderes…“. So langsam begann der Groll auf die vielen Ungerechtigkeiten. Positionen die einem verwehrt wurden, die andere auf dem Papier stehen haben, sich damit rühmen und natürlich auch das Geld dafür erhalten, während ich deren Arbeiten durchführte und nur im Schatten stand. Was für ein widriges Ungleichgewicht. Es ließ mein Ich weiter sinken, die Unzufriedenheit erhöhen und die Traurigkeit alltäglich werden lassen. Aber immer noch wollte ich mehr und besseres leisten. Für ein bisschen Anerkennung und nicht weiterhin unterschätzt zu werden.
Wie gern wollte ich, dass alles perfekt ist
Arbeit, Haushalt, Erziehung des Kindes, meine Figur, mein Gewicht – das ICH perfekt bin. So wie ich es mir immer vorgestellt habe. Wie man als Mitarbeiter, als Hausfrau, als Mutter, Ehefrau und Frau funktionieren und aussehen muss. Bei Anderen ist doch auch alles perfekt. Was ich bei anderen sah, war für mich der Normalzustand. Warum ist es bei mir nicht so? Ich war träge und müde, fühlte mich mit allem allein gelassen, nicht verstanden und irgendwann auch überfordert. Es gab scheinbar nichts was ich erfolgreich bewältigen konnte. Ich war nur noch unzufrieden mit mir selber und zweifelte an meinem Können, meinem Wissen und auch an meiner Intelligenz.
Du guckst in den Spiegel und siehst nur Elend
Über Jahre habe ich kein normales Essverhalten mehr gehabt. Jede Minute ging es nur darum, irgendwie die Nahrungsaufnahme zu verhindern und Ausreden glaubhaft zu vermitteln, warum wieder keine Mahlzeit mit der Familie eingenommen werden kann. Wenn du sowieso schon die üblichen Frauenleiden hast und nur noch Elend im Spiegel siehst, dein Bauch runder ist als du ihn gerne hättest und jeden Morgen die Waage doch wieder kein Wunder vollbracht hat mit -10kg weniger auf dem Display und dir dein Partner im Bad schmunzelt mitteilt, wie groß denn dein Bauch geworden ist, dann macht das was mit dir. Und wenn du dann auch noch mit einer Freundin um das beste Ergebnis der Gewichtsabnahme um Kohle wettest, dann treibt es dich an – nur in die falsche Richtung. Sportwahnsinnig zu werden.
Jeden Tag, auch nachts und so, dass es nicht jeder mitbekommt. Wie bei mir. Ja gewonnen habe ich, aber zu welchem Preis und mit welchen Methoden? War es dann wirklich klug, nichts mehr zu essen und wenn doch, zu erbrechen, um noch mehr an Gewicht zu verlieren, um schlanker zu werden? Für mich war damals mein Selbstwertgefühl untrennbar mit meinem Gewicht verbunden. Daran konnte ich wenigstens Anerkennung bekommen. Das war offensichtlich genug für Andere. Hungern bis zur Erschöpfung, bis andere dich als Skelett sehen und endlich mal feststellen, dass es mir scheinbar nicht gut geht. Stattdessen gab es Lob wie schlank ich bin, wie gut ich abgenommen habe. So hieß es noch weiter abnehmen und hungern. Es muss doch irgendwann zu erkennen sein, dass etwas nicht in Ordnung ist mit mir?
Jeglicher Kontakt, jede Verpflichtung war für mich zu viel
Ich habe im Auto geweint, wenn wir Verwandte besucht haben, weil das schon alles eine Überforderung für mich war. Bei Geburtstagseinladungen war ich als erstes am überlegen, was ich als Grund vorschieben kann, um nicht dabei sein zu können. Menschenansammlungen, oder Menschen generell konnte ich nicht um mich ertragen.
Die Einschulung von meinem Sohn habe ich total verhauen. Ich war nicht in der Lage, eine anständige Feier auf die Beine zu stellen. Was mit den Gästen ist und wie sie wohl über das spärliche Angebot zur Verköstigung meinen könnten, war mir völlig egal. Schließlich wollte ich im Grunde niemanden im Haus haben und habe diesen Tag nur für mein Kind ausgehalten. Sich nichts anmerken lassen, sich zu verstellen, darin war ich bereits geübt. Doch es war unerträglich für mich.
Und plötzlich waren auch noch Panikattacken da. Beim Einkaufen, beim Autofahren. Einfach so. Wobei es im Kaufhaus nicht von Kunden wimmelte, konnte ich manches mal nicht weiter im Geschäft verbleiben. Zu groß war die Angst jetzt völlig abzudrehen und im schlimmsten Fall auch noch bewusstlos zu werden.
So lange bis nichts mehr geht
Es wurde für mich immer mehr ein so unerträglicher Zustand in meinem Kopf, dass auch mein Körper Signale sendete. Ständige Übelkeit, Kopfschmerzen, wiederholende Infekte, plötzliche Panikattacken. Hinzu die tiefe Traurigkeit, die Liebe die nicht mehr in einem ist, der Hass wegen den Ungerechtigkeiten. Alles über Jahre, ausgehalten und geduldet von mir, um endlich als gleichwertiger Teil gesehen zu werden.
… und diese grausamen Gedanken im Kopf „bloß raus aus diesem Leben!“
Mein Halt in dieser Zeit, meine kleine Familie. Nie würde ich meinen kleinen Sohn ohne Mama sein lassen. Mein Mann, der mit allen Kräften versucht mir eine Hilfe zu sein, selbst zu verzweifeln, so machtlos zu sein.
Ich habe darauf gewartet, darauf gehofft, dass mein Körper völlig resigniert. Er sollte zusammensinken, einen Zusammenbruch erleiden. Dann sieht wenigstens jeder, das ich am Ende bin, das ich nicht mehr kann. Meine Hilferufe bei Vorgesetzten haben keine Wirkung gehabt. Wie klar sollte ich ihnen noch mitteilen, dass es nicht mehr geht? Für Außenstehende funktionierst Du einfach nicht mehr, wenn du Missgestimmt und völlig Aggro im Büro ackerst, du die Ordnung Zuhause nicht mehr auf die Reihe kriegst und vor allem bist du keine gute Freundin mehr, wenn du dich immer mehr verkriechst und isolierst, um alleine sein zu können.
Zu gerne wollte ich, dass es mit einem Zusammenbruch offensichtlich ist, dass ich leide, dass ich nicht mehr kann, dass ich nicht weiß, was ich dagegen tun kann, dass ich von dieser Welt will. Das Leiden konnte und wollte ich nicht länger ertragen und musste mich dafür entscheiden, den harten Weg auf mich zu nehmen und selbst die Reißleine ziehen. Der Gang zum Arzt und mich mitzuteilen, wie schwer meine Seele leidet. Der wohl schwerste Entschluss, der die Rettung für mein Leben war.
360 Tage
360 Tage hat es gedauert, bis ich wieder ins Büro zurückgekehrt war und besonders die ersten Monate der Arbeitsunfähigkeit waren fast unerträglich für mich. Das schlechte Gewissen gegenüber der Arbeit, den zurückgelassenen Kollegen. Das Gefühl, ganz allein mit all den Problemen zu sein, dass scheinbar niemand für mich da sein möchte. Keine Fragen wie es mir geht, keine Angebote von Hilfe. Allein den Weg beschreiten zu müssen.
Therapie und eine zweimonatige Reha brachten für mich das nützliche Werkzeug, das ich mir so sehr gewünscht habe. Es war durchaus nicht immer leicht und hat dennoch Erkenntnisse über meine Vergangenheit gebracht, die notwendig waren, um mich selbst zu verstehen und um mich ein Stück weiter verändern zu können. Vieles habe ich ausprobiert, um wieder klar zu kommen. Häufig hatte ich Zweifel ob ich überhaupt jemals wieder „normal“ werden würde. Yoga und Progressive Muskelentspannung sind u.a. Methoden, welche mich ausgeglichener werden lassen. Ich habe für mich die Malerei entdeckt und kann damit Vergangenes und aktuelle Belastungen verarbeiten. Zudem habe ich mich mit Fachbüchern, Vorträgen und Dokumentationen zu der Erkrankung beschäftigt und sehr viel daraus für mich gewonnen.
Achtsamkeit, Reflexion und Akzeptanz
Durch erlernte Achtsamkeit, Reflexion und Akzeptanz, bin ich wieder zurück ins Leben gekehrt. A-R-A = Meine ganz persönliche Formel. Schon irgendwie eine Persönlichkeitsveränderung, die man da durchmacht und das ist auch gut so. Ich habe gelernt, mit meiner Übersensibilität umzugehen und betrachte diese inzwischen eher als Gabe. Mir ist es nicht neu, die Stimmung und Emotion meines Gegenübers zu erkennen, doch projiziere ich daraus nicht mehr Schlechtes gegen mich.
Mit dem eisernen Willen, etwas an mir verändern zu wollen, lebe ich nun selbstbestimmt und gelassener. Für manche zu gelassen, doch die Eindrücke und Meinungen anderer zu meiner Person, oder zu meiner Verhaltens- /Arbeitsweise sollen mich nicht mehr beeinflussen. Das möchte ich nicht zu meinem Problem werden lassen. Ich habe ja schließlich ein Jahr gebraucht, um wieder so gelassen zu werden und das lasse ich mir nicht durch andere Menschen nehmen, denn es tut mir gut!
Heute bin ich ausgebildete Burnout Beraterin, Trainerin für Stressprävention und ausgebildete Hypnotiseurin. Denn es war für mich seither unverständlich, dass Betroffene in akuten Momenten aufgrund langer Wartezeiten bei Psychologen und Therapeuten keine Hilfe bekommen. Noch nicht mal ein einziges Gespräch. Dafür möchte ich da sein. Ich möchte Menschen unterstützen und helfen, aus der Spirale des Drucks, des Leidens zu entkommen. Ich selbst hatte Halt und Unterstützung bei meiner Familie, doch vielen Menschen geht es nicht so. Sie geben sich auf, da sie keine Hilfe erhalten und oft keinen Ausweg mehr wissen.
Meine Vision
Meine Vision ist Betroffene, Angehörige und auch Arbeitgeber zu dem Thema Burnout und Depressionen zu sensibilisieren. Auf sich zu achten, Hilfe zu holen, Hilfe zu geben. Insbesondere das Führungskräfte auf Ihre Mitarbeiter achten und Unterstützung bieten. Des Weiteren dabei zu helfen, dass psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft akzeptiert werden. Denn Burnout und Depressionen sind keine Volkskrankheit oder eine Modeerscheinung. Diese Begriffe machen es klein und unbedeutend. Es ist viel größer und ist ernst zu nehmen.
Was in der Vergangenheit geschehen ist, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ausgeglichen und ohne Groll auf Andere. Auch ich habe hin und wieder mal eine bedrückte Stimmung, doch inzwischen kann ich die Signale frühzeitig erkennen und mit den für mich geeigneten Methoden dagegen arbeiten.
Für mich gibt es heute keine Schuldfrage mehr. Es ist wie es ist und die Vergangenheit und andere Personen kann ich nicht ändern. Heute weiß ich, wie ich mit mir auch in nicht so guten Zeiten umgehe. Achtsam, geduldig und fürsorglich!
Die Autorin stellt sich vor
Mein Name ist Sandra, bin 40 Jahre alt, verheiratet, habe einen Sohn und lebe in einem gemütlichen Örtchen im Süden von Niedersachsen.
Für mich war schon immer klar, dass ich in einem kaufmännischen Beruf arbeiten werde. Ich schloss eine Ausbildung zur Industriekauffrau ab und bildete mich zur staatlich geprüften Personalfachkauffrau weiter.
Nach meinem Burnout 2015 wurde mir immer klarer, dass es für mich beruflich noch mehr geben muss. Zudem war es mir ein Anliegen, andere Betroffene eine Unterstützung zu sein und absolvierte eine Ausbildung zur Burnout Berater und Hypnotiseurin. Ich machte mich neben meinem Beruf selbständig und bin beratend für Personen Ansprechpartner, die Hilfe bei einer Erschöpfungsdepression benötigen.
Zudem trage ich in Zusammenarbeit mit Vereinen dazu bei, dass das Thema Burnout und Depressionen nicht länger ein Tabuthema ist und möchte die Öffentlichkeit hierzu aufklären. Insbesondere über den Umgang mit Betroffenen für Angehörige, Partner und auch Arbeitgeber.
Kontakt zu Sandra
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